Die Kleidung ist immer etwas Intimes, die zweite Haut des Menschen, Ausdruck eines sozialen aber auch persönlichen Selbst- verständnisses, "Kleidung", so bemerkt Leo Kandl, "trägt eine doppelte Gerichtetheit in sich, die des nach außen orientierten Öffentlichen und die des Privaten."
Kandl photographiert Objekte, die er beim Trödler findet oder die man ihm zu- trägt.
Auch Objekte aus dem Kostümfundus sind darunter, wobei bei diesem Begriff nicht eindeutig festgehalten wird, ob es sich um den Fundus eines Kostümverleihers oder eines Theaters handelt.
Der Photograph präsentiert die Objekte sachlich und kühl. Er holt manchmal Details heraus und betont die Materialität. Man sollte nicht vergessen, daß Kleidung einerseits etwas ist, was aus der Fläche in den Raum hinein gestaltet wird, daß die Photographie andererseits die dreidimensionale Welt in die zwei- dimensionale Fläche bannt. Das eine Mal wirken die Kleider wie Gegenstände, die der Träger nur ganz schnell über den Stuhl gehängt hat. Es sind Dokumen- te der Abwesenheit des Körpers, der "fehlt", von dem sie aber sprechen. Das andere Mal wirken sie wie Objekte, die auf die Reinigung warten oder es sind Opfer einer letzten Inventur nach dem Tod ihres Trägers. Bilder wie die Leo Kandls beschwören jedoch auch jene archetypischen Bilder von Auschwitz bis Bosnien, die von Ausrottung und ethnischer Verfolgung sprechen. Es sind alle diese unterschiedlichen funktionalen Kontexte wie auch die verschiedenen assoziativen Bedeutungsebenen, die eine Irritation vermitteln, welche als ihre zentrale Qualität angesehen werden kann.
Alle Objekte zeugen in einem elementaren Sinne von gelebtem leben. Für mich sind es „nature mortes“, Stilleben.
Im Stilleben wie in der Photographie geht es um das Arretieren der alles zerstörenden Zeit. Roland Barthes hat die Photographie ein Medium des Todes genannt. Leo Kandl hat auf eindrucksvolle Weise Vanitas-Stilleben am Ende des XX. Jahrhunderts geschaffen.
Peter Weiermair 27.2.1996